



Endlich startet Der Pfau im Kino – der erste Kinofilm, zu dem ich das Drehbuch schreiben durfte! 🦚
Anderthalb Jahre ist es her, dass ich mit der Arbeit daran begonnen habe. (Isabel Bogdan, die Autorin der Romanvorlage, wird es sicher freuen, mit welchem Wort ich den letzten Satz begonnen habe. 😉)
Zu Beginn eines Projekts wird von Drehbuchautor:innen gerne verlangt, dass sie eine „Writer’s Note“ schreiben. Also einen Text, in dem wir erklären, warum dieser bestimmte Film unbedingt realisiert werden muss. Da zieht man sich dann gerne schlau klingende Sätze aus den Fingern, denn meistens weiß man doch erst nach dem Schreibprozess, warum man die Geschichte erzählt hat. Falls es einem überhaupt klar wird.
Da ich bei Der Pfau erst an Bord gekommen bin, als schon mehrere Drehbuchfassungen vorlagen, musste ich damals keine Writer’s Note schreiben. Das hätte ich zu diesem Zeitpunkt wohl auch gar nicht hinbekommen. Doch heute, am Tag des Kinostarts und zwei Wochen nach der surreal glamourösen Premiere im Kölner Cinedom, weiß ich, warum der Film so geworden ist, wie er ist. Und warum es gut ist, dass er so ist. Daher kommt hier meine verspätete Writer’s Note:
„Jede erfolgreiche Story geht im Kern so: Einer haut dem anderen aufs Maul.“ Das hat vor 20 Jahren ein Drehbuchdozent in der Filmschule zu uns gesagt, als wir als Jungautor:innen voller Tatendrang aber mit leichter Überforderung vor ihm saßen. Der Dozent konnte damals nicht ahnen, dass Isabel Bogdan etwa 15 Jahre später den Roman Der Pfau schreiben sollte, in dem wirklich niemand irgendwem aufs Maul haut. Nicht einmal im übertragenen Sinne, obwohl es genug Gründe gäbe.
Dennoch – oder gerade deswegen? – sollte Der Pfau mit 600.000 verkauften Exemplaren ein überragender Bucherfolg werden. Ich kannte den Roman nicht, als Lutz Heineking Jr., einer der wohl spannendsten Regisseure, die wir zurzeit in Deutschland haben, mich in das Projekt holte. Das heißt, ich habe das Buch nicht als „unbedarfter Leser“ gelesen, sondern gleich als „Drehbuchautor mit professionellem Blick“. Und als der wurde mir sehr schnell klar, dass wir mit dem griffigen Leitsatz meines Dozenten bei der Adaption nicht weit kommen würden. Denn Der Pfau hat keine Dialoge. In einem Tonfall, der zugleich distanziert, liebevoll, leichtherzig und elegant ist, beschreibt Isabel Bogdan stets nur die Innenwelten ihrer Figuren und deren Gedanken. Soll heißen: In diesem Roman denken die Figuren allerhöchstens darüber nach, jemand anderem aufs Maul zu hauen – doch niemand tut es! Es passiert nichts. Aber in den Figuren passiert unendlich viel.
Um Spannung zu erzeugen, müssen die Figuren im Drehbuch aussprechen, was sie im Roman für sich behalten. Dennoch folgt daraus keine Konsequenz, niemand versteht den anderen, aber es traut sich auch keiner, die geballte Faust zum Schlag aus der Tasche zu holen. Obwohl viel passieren könnte, passiert nichts. Mein damaliger Drehbuchdozent hätte mir wahrscheinlich entschieden abgeraten.
Ich hatte ihn beim Schreiben zumindest immer wieder warnend im Ohr und fragte mich, ob dieses antiklimaktische Vorgehen, das alle Sehgewohnheiten unterläuft, in der Verfilmung funktionieren kann. Dramaturgische Prinzipien sind oft sehr gnadenlos: Es macht Spaß, sie zu brechen, doch wenn man es tut, strandet man leicht in der Langeweile. Außerdem sind Filmkritiker:innen sehr geschult darin, Filme nach diesen Prinzipien abzuklopfen. Sie schmücken sich dann gerne damit, dass sie erkannt haben, wenn dramaturgische „Regeln“ nicht eingehalten wurden.
Je weiter wir uns mit den Figuren in die schottischen Wälder und ihre verquere Gedanken rund um einen toten Pfau vorwagten, umso bewusster wurden uns die dramaturgischen Risiken, die wir eingingen. Als uns der Weg dann zu einem geladenen Gewehr mitten im Wald führte, fiel mir noch ein Drehbuchprinzip ein, das ich vor 20 Jahren zum ersten Mal gehört habe: „Wenn nichts passiert, dann bring eine geladene Waffe ins Spiel und feuere sie ab.“ Es passierte nichts. Und da war die Waffe. Wir hatten den Finger am Abzug. Ein Schuss würde uns zurück auf dramaturgisch sicheres Terrain bringen. Doch wo wir schon so weit gekommen waren, wollten wir da wirklich wieder hin zurück?
Natürlich sage ich nicht, ob wir abgedrückt haben. Aber ich verrate gerne, dass uns der Weg, den wir schließlich genommen haben, in heiße Gewässer geführt hat, in denen dann ganz überraschend gar keine Dialoge mehr nötig waren. Wie im Roman.
Viel Spaß im Kino! Geht bitte mit hohen Erwartungen rein, aber macht euch bereit, dass sie mit voller Absicht alle enttäuscht werden. Wenn wir es richtig gemacht haben, dann klingt der Film nach. Und dann werdet ihr vielleicht feststellen, dass er euch etwas Interessanteres mitgegeben hat, als ihr erwartet habt. Eine Geschichte, die ungewöhnlicher aber auch wahrhaftiger über die Art erzählt, wie wir oft miteinander kommunizieren, wie wir Scheindebatten führen und aneinander vorbeireden ohne es zu merken. Und von außen betrachtet kann das deutlich komischer sein als ein Schlag aufs Maul.